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Minderheitenpolitik

Das Aufgabenfeld „Minderheitenpolitik“ umfasst zwei Arbeitspakete. Das Arbeitspaket „Sprachplanung im internationalen Vergleich“ behandelt, wie der Titel nahelegt, Aspekte der Sprachplanung aus einer international vergleichenden Perspektive v.a. mit Blick auf Institutionen und Verfahren.
Sprachplanung ist besonders wichtig für die Revitalisierung von Minderheitensprachen, deren Gebrauch im Wesentlichen auf den privaten Bereich und auf niedrigschwellige Identitätsfunktionen im Rahmen der Diglossie beschränkt wurde. Konkreter zielt sie darauf ab, die Nutzenfunktionen der Minderheitensprache in möglichst vielen gesellschaftlichen Bereichen des öffentlichen Lebens zu erweitern und sozial akzeptabel zu machen. Die Wiedereinführung von Minderheitensprachen in die Anwendungsbereiche, aus denen sie ausgeschlossen wurden, ermöglicht nicht nur die Wiederherstellung von sozialem Prestige für historisch diskriminierte Gruppen – insofern Prestige ein Attribut nicht der Sprachen, sondern der Menschen ist, die sie sprechen – sondern ist auch notwendig für die volle kulturelle Teilhabe der betroffenen Bürger:innen an der „staatsbürgerlichen Sphäre“ (civic realm), die bislang der Mehrheitssprachengruppe vorbehalten war.
Trotz ihrer jüngsten Fortschritte, die unter anderem vom Europarat (Conseil de l’Europe 2018) gelobt wurden, ist die Sprachenpolitik für das Niedersorbische nach wie vor unzureichend, um die vom Aussterben bedrohte Sprache, die inzwischen kaum noch Muttersprachler:innen hat, zu revitalisieren. Nicht nur ist ihre Präsenz in den meisten öffentlichen Anwendungsbereichen mangelhaft – oder gar nicht vorhanden –, sondern es gibt auch keine effektiven Mechanismen für die Umsetzung der Sprachenpolitik in Brandenburg. Ausgehend von dieser Feststellung befasst sich das vorliegende Projekt mit spezifischen Mängeln der Sprachplanung im Falle des Niedersorbischen, die dessen Revitalisierung beeinträchtigen.
Zunächst zielt das Arbeitspaket darauf ab, mögliche institutionelle Lösungen für die Einführung einer strukturierten Sprachplanung mitsamt den Mechanismen zur Umsetzung der in Potsdam skizzierten Sprachenpolitik zu erkunden. Darüber hinaus ist es mehreren neuralgischen Bereichen gewidmet, in denen der Gebrauch des Niedersorbischen besonders defizitär ist. Dazu gehört die Frage, wie dieser Sprache im Wirtschafts- und öffentlichen Leben ein größerer Stellenwert eingeräumt werden kann. Die Verbesserungsmöglichkeiten in diesem Bereich wurden von Ludwig Elle angerissen, jedoch sind die Möglichkeiten selbst bisher sehr begrenzt und noch längst nicht in ihrem gesamten Potenzial ausgeschöpft. In dem Aufgabenfeld werden exemplarisch zwei besonders mangelhafte Aspekte der Sprachplanung im Bildungsbereich der Niederlausitz analysiert, die direkt mit der Weitergabe der Sprache zu tun haben: die Erwachsenenbildung und die Rekrutierung von Lehrkräften.
Die vier Schwerpunkte werden im Laufe der kommenden fünf Jahre parallel untersucht; für jedes Arbeitspaket sind allerdings jeweils drei Arbeitsschritte vorgesehen. In Zusammenarbeit mit verschiedenen sorbischen/wendischen Akteuren und Organisationen wird eine Bestandsaufnahme der bisherigen Maßnahmen in der Niederlausitz seit 1990 in Bezug auf 1) die Sprachplanung, 2) die Förderung des Sorbischen/Wendischen im wirtschaftlichen und öffentlichen Leben, 3) Sprachkurse für Erwachsene und 4) die Rekrutierung von Lehrkräften vorgenommen und ggf. eine Diskussion angeregt, warum diese nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt haben.
In der zweiten Phase des Gesamtprojekts wird in Zusammenarbeit mit akademischen, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Partner:innen in Europa untersucht, welche Lösungen in diesen Bereichen in den letzten Jahrzehnten entwickelt wurden, um historisch etablierte Minderheitensprachen zu revitalisieren, deren prekäre Situation mit der des Niedersorbischen vergleichbar ist. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf den institutionellen Voraussetzungen und Akteurskonfigurationen, die für die Entwicklung dieser Maßnahmen in den verschiedenen Kontexten notwendig sind.
Schließlich werden die Ergebnisse des internationalen Vergleichs mit regionalen Akteuren und Institutionen, die an der Revitalisierung der niedersorbischen Region interessiert sind, geteilt, um im Rahmen eines Dialogprozesses zu bewerten, ob und wie einige der im Ausland identifizierten Lösungen in der Lausitz umgesetzt werden könnten. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen so einerseits die Perspektiven des Zorja-Projekts erweitern und andererseits zur effizienten Umstrukturierung bzw. nachhaltigen Entwicklung der Sprachplanung in der Niederlausitz beitragen.
Das Arbeitspaket „Fallstudien zur Minderheitenpolitik“, das 2024 beginnt, ist weniger umfangreich und umfasst zwei rekonstruktive, explorative Fallstudien, die in exemplarischer Weise die Anwendung unterschiedliche Ansätze der Policy-Analyse auf das Feld der Minderheitenpolitik demonstrieren und zu einem besseren Verständnis beitragen sollen, wie in diesem Bereich politische Entscheidungen entstehen und Politiken umgesetzt werden.
Die erste Fallstudie adressiert die Frage, wie es der sorbischen/wendischen Minderheit gelungen ist, ihre Belange zum Gegenstand der Strukturwandelförderung zu machen. Diese Studie soll dazu beitragen, ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, wie politische Entscheidungen zur Minderheitenpolitik im politischen Mehrebenensystem erfolgen.
Die zweite Fallstudie fokussiert sich auf Reformvorschläge und den Reform-Diskurs innerhalb der sorbischen/wendischen Institutionenlandschaft selbst. Untersucht werden soll die Rezeption und Wirkung verschiedener Gutachten, die um das Jahr 2010 herum entstanden sind. Ziel der Studie ist es, die Funktionsweise des sorbischen/wendischen Institutionengefüges besser zu verstehen und Reformbarrieren zu identifizieren.
Beide Studien sollen hilfreiche Einblicke für ähnlich gelagerte Sachverhalte wie z.B. Fragen der Umsetzung der „Serbska rěcna strategija“ („Masterplan zur Revitalisierung der niedersorbischen Sprache inkl. Aufbau von innovativen Sprachvermittlungsformen zum Ausbau der regionalen Mehrsprachigkeit“) ermöglichen.

Projektleitung: Jean-Rémi Carbonneau
Projektbeteiligte: Lutz Laschewski