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Spracherwerb

In diesem Aufgabenfeld sind jene Arbeitspakete zusammengefasst, die sich im weitesten Sinne mit dem Erwerb der niedersorbischen Sprache beschäftigen. Im Vergleich zu anderen Minderheitensprachen besitzt das Niedersorbische zwar gute rechtliche Rahmenbedingungen und öffentliche Finanzierungsmöglichkeiten für Spracherwerb und -anwendung. Bislang liegt dabei für das Niedersorbische der Schwerpunkt jedoch auf der Sprachvermittlung an Kinder und Jugendliche. Auch der schulische Spracherwerb im sorbischen/wendischen Siedlungsgebiet ist bestenfalls partiell institutionalisiert, sodass nur eine geringe Zahl von Schüler:innen in der Schule ein höheres Sprachniveau erlangen kann. Im Bereich der Tertiärbildung wird das Schulsystem ergänzt um klassische Sprachkurse für Erwachsene.
Die Betrachtungen zum Spracherwerb des Niedersorbischen erscheinen in zweierlei Hinsicht auf das schulische Bildungssystem verengt. Zum einen bleiben außerschulische Pfade des Spracherwerbs ganz außerhalb der Betrachtung. Zum anderen bleibt durch die Fokussierung auf Teilnehmer:innen- und Absolvent:innenzahlen die für ihre Reproduktion wichtige Frage der Integration und der aktiven Teilhabe an der Sprachgemeinschaft unbeantwortet.
Im Rahmen dieses Arbeitsbereichs wird in Anlehnung an das Konzept der „Communities of Practice“ (CoP) eine soziale Lerntheorie zu Grunde gelegt, der zufolge das Erlernen einer kleinen Sprache nicht nur eine kognitive Leistung ist, sondern zugleich einen sozialen Prozess der Integration in eine Sprachgemeinschaft darstellt, sowie einen Prozess persönlicher Identitätsbildung und Kulturvermittlung. Spracherwerb ist daher gleichzeitig ein individueller wie auch ein kollektiver Prozess, dessen Erfolg nicht nur in der Motivation und in Fähigkeiten des Einzelnen, sondern gerade auch in unterstützenden oder hemmenden sozialen Bedingungen (z. B. Unterstützernetzwerke) zu suchen ist.
Zunächst soll ein Überblick über den Ist-Stand des Erwerbs der niedersorbischen Sprache geschaffen werden. Dabei sind die zentralen Fragen:

1. Wie, wo und warum kommen Lernende in Kontakt mit der niedersorbischen Sprache (Erstkontakt/Eintritt in das Sprachsystem)?
2. Wie kann die niedersorbische Sprache möglichst effektiv gelernt werden (Lernprozess im Sprachsystem)?
3. Wie können Lernende zu langfristiger Sprachanwendung, lebenslangem Lernen und Sprachweitergabe (z. B. an nächste Generationen) angeregt werden (Verbleib im Sprachsystem)?

Im Arbeitspaket „Zielgruppen-/Bedarfsanalyse“ soll anhand von Befragungen und der Auswertung von Sprachlernbiographien ergründet werden, wer aus welchen Gründen und mit welchen Zielen Niedersorbisch lernt bzw. den Sprachlernprozess abgebrochen hat, um eine Grundlage für die Planung neuer oder die Modifizierung bereits bestehender Sprachlernangebote bereitzustellen.
Gegenstand des Arbeitspakets „Lehr- und Lernmaterialien und -angebote“ ist eine nach Zielgruppen strukturierte Analyse der verfügbaren Lehr- und Lernmaterialien bzw. -angebote sowie der Prozesse ihrer Entstehung. Diese wird der Zielgruppen-/Bedarfsanalyse gegenübergestellt. In einem Dialog mit den Beteiligten sollen Möglichkeiten der Anpassungen von Bedarfen und Angebot erarbeitet werden.
Das Arbeitspaket „Didaktik des Niedersorbischen“ setzt sich kritisch mit der Sprachendidaktik auseinander. Didaktische Konzeptionen für das Niedersorbische orientieren sich bislang vorwiegend an den Grundsätzen für das Unterrichten von Zweitsprachen bzw. modernen Fremdsprachen, vernachlässigen aber – so die Arbeitshypothese – minderheitenspezifische Herausforderungen wie Identitätsbildung, Wertschätzung der Sprache trotz geringer kommunikativer Reichweite und den hohen Stellenwert der Einbindung in die lokale Kultur. Auf Grundlage der Erkenntnisse aus den obigen Arbeitspaketen sowie ergänzenden Literaturrecherchen werden in diesem Arbeitspaket Hypothesen zu didaktischen Herausforderungen beim Unterrichten des Niedersorbischen aufgestellt. Diese sollen anhand von Hospitationsanalysen, Befragungen von Lehrenden und Lernenden verschiedener Lehr-Lern-Settings und didaktischen Analysen ausgewählter Lernmaterialien überprüft werden, um daraus Schlussfolgerungen für das Unterrichten des Niedersorbischen zu ziehen und ggf. die Übertragbarkeit auf weitere Minderheitensprachen zu prüfen.
Die gewonnenen Erkenntnisse sind von großer Relevanz für die Vorhaben „Serbska rěcna strategija” (Masterplan) und „Zorja“, da so eine wissenschaftliche Basis für sprachplanerische Entscheidungen geschaffen wird. Andererseits können Stakeholder und Kooperationspartner:innen (z. B. Schule für die niedersorbische Sprache, ABC, WITAJ-Sprachzentrum) die Ergebnisse dieser Arbeitspakete für ihre weitere Arbeit nutzen, z. B. um zielgruppenspezifische Angebote zu schaffen, insofern sie noch nicht bestehen.

Projektleitung: Lutz Laschewski
Projektbeteiligte: Sophie Rädel, Fabian Jacobs, Julia Běrink